USA 2 - Der Nordwesten

Langsam rollen wir auf den US-Grenzposten zu, die Schlange vor uns wird immer kürzer - die Anspannung wächst...
Wir gehen nochmal alles durch: Pässe und Fahrzeugpapiere? Check! Reiseroute und Flugticket? Check! Alles Gemüse und Früchte entsorgt? Che… ähm nein, scheisse, in der Kiste liegen noch ein paar angefaulte Karotten! Dani wirft mir einen Blick zu der alles sagt… ja, sorry, die werden uns wohl nicht auffressen wegen etwas schäbigem Wurzelgemüse!
 
Woher die Nervosität? Ein paar getroffene Overlander sowie meine Familie in Vancouver haben es wunderbar geschafft, uns mit ihren Albtraumstorys den Grenzübertritt so richtig madig zu machen „immer nur mit JA oder NEIN antworten“ „immer bei der Wahrheit bleiben“ (ja wir haben ja nix zu verbergen) „ruhig bleiben wenn sie merkwürdige Fragen stellen, die wollen nur rausfinden ob ihr lügt“ (Hallo?). Ein jeder legt noch eine Story drauf, ja Himmelherrgott, wir wollen uns doch nur ein paar Canyons ansehen da unten!
Auf jeden Fall lächeln wir den ernsten Beamten ganz unschuldig an als wir an der Reihe sind und beantworten die Fragen nach Woher und Warum betont freundlich und einsilbig. Waffen? Nein! Munition? Nein! Tiere, Pflanzen? Nein! Früchte und Ge… YES! Sorry officer, I found these carrots in the car this morning!
Der Officer glotzt uns an, versucht mit Mühe seine Haltung zu wahren und sagt mit Tränen in den Augen (auf englisch): Tja, dann möchte ich, dass ihr diese Karotten jetzt auf der Stelle aufessen, sonst kann ich euch nicht passieren lassen! Mein verdutztes Gesicht und der Einwand, sie seien doch schon etwas schimmlig lässt den Beamten vollends schmunzeln. „Off you go and enjoy the United States!“ grinst er uns an und mit einer Handbewegung sind wir entlassen!
Wars das? Keine Durchsuchung? Keine Röntgenstrahlen oder Drogenhunde?? Fast sind wir enttäuscht und rollen völlig verpeilt mit einer Tüte gammliger Karotten von dannen…
 
Washington
Welcome to Washington“ heissts auf einem grossen Schild, sonst ändert sich grad mal gar nix, abgesehen vom Wechsel von Kilometern auf Meilen. Halt das stimmt nicht ganz, der unübersehbare Patriotismus in Form von US-Flaggen an jeder öffentlichen Einrichtung und auf fast jedem Anwesen. „God bless America!“ - dass kann ja heiter werden!
Unser erstes Ziel ist Bellingham. Die nächste grössere Stadt auf unserem Weg mit Einkaufsmöglichkeit, schliesslich ist der Kühlschrank gähnend leer und auch die Vorräte haben wir schon länger nicht mehr aufgefüllt, da Lebensmittel in den Staaten deutlich günstiger sein sollen als in Kanada. So steuern wir den ersten Saveways an und ich bin im Paradies! Die Preise von Gemüse und Früchten sind tatsächlich sehr attraktiv - auch Milchprodukte sind günstiger, bei den übrigen Lebensmitteln ist der Unterschied weniger frappant. Aaaber der Alkohol: der geliebte Bota-Box-Wein ist so günstig wie nie, auch Bier ist wieder erschwinglich und eine Flasche Yukon Jack landet auch noch im Einkaufswagen! Unterm Strich sind wir aber trotz Alkohol günstiger weggekommen als in Kanada.
Unser Weg führt uns nach Osten. Es ist ein weiter Weg nach Wyoming zum Yellowstone Nationalpark, trotzdem versuchen wir möglichst kleine Strassen zu erwischen wo es auch noch etwas zu sehen gibt. So landen wir am ersten Abend bereits im North Cascades Nationalpark (NP). Im Visitor Centre sind alle sehr freundlich und an unserer Reise sowie an Tico interessiert. Wir kaufen sogleich den „Americas Beautiful“ Jahrespass für alle Nationalparks in den Staaten. Für 80 US$ pro Fahrzeug ist er praktisch geschenkt - wir werden ihn nach dem Yellowstone NP bereits amortisiert haben.
Einen ersten wunderschönen Schlafplatz finden wir im National Forest. Wir können kaum glauben, dass wir hier einfach so und umsonst campen dürfen. Erst als uns dies ein Schild bestätigt welches uns ausserdem bittet, unseren Aufenthalt auf 2 Wochen (!) zu beschränken, packen wir entspannt unsere sieben Sachen aus und machen es uns gemütlich.
Eigentlich wollten wir nur durch den Park hindurch fahren, doch die schöne Landschaft mit Bergen, Seen und Flüssen verführt uns spontan zu einer Wanderung über den Alice Lake zum Maple Pass. Erst gegen Mittag brechen wir zum 8-Meilen-Hike auf, dabei unterschätzen wir die Höhenmeter enorm. Es ist wunderschön und wir geniessen die Bergwelt und die Aussicht, doch die Steigung verlangt mir alles ab. Die Pumpe arbeitet am Anschlag und häufige Pausen verzögern die Wanderung. Tja, so fordert das ständige Sitzen auf flauschigem Lammfell im bequemen Scheelmannsitz langsam seinen Tribut. Nicht zum ersten Mal nehmen wir uns fest vor, in Zukunft ein Sportprogramm in unseren ach so ausgefüllten Tagesablauf zu integrieren. Aber erst morgen, heute sind wir zu müde ;-)
Weiter geht’s auf dem Scenic-Highway #20. Ab Winthrop ändert sich die Landschaft deutlich. Das Grün verschwindet, erdige Farben dominieren die Landschaft. Wälder weichen Steppe, das Land weitet sich - wir sind im Cowboy-Country! Auf dem Weg passieren wir den gigantischen Grand Coulé Staudamm. Der Overlook eignet sich hervorragend als Lunch-Stop und danach arbeiten wir uns durch die Infotafeln, die den Bau und die Funktionsweise des Kraftwerks ausführlich erklären. Der Nachmittag zieht sich hin und es ist heiss und staubig. Seit Langem sieht es wiedermal schlecht aus mit der Schlafplatzsuche und die geschäftige Boat Launch am Lake Roosevelt entpuppt sich weniger als Schlafplatz denn als wunderbarer Badestrand, was wir auch ausgiebig nutzen nach der staubigen Fahrt. Hier treffen wir auch den rüstigen Rentner Mike, ein „Reisefüdli“ mit Leib und Seele, der uns spontan zu sich nach Hause einlädt. Er hat derart Freude an uns und ist so wissbegierig, dass wir nicht ablehnen können. Ja auch der separate Eingang zum Gästezimmer mit eigenem Bad hilft in der Entscheidungsfindung ;-). Wir verbringen einen herrlichen Abend mit Mike und seinen drei Labradors, kochen gemeinsam und philosophieren über Gott und die Welt. Später muss Dani sich noch durch die gesamte Whiskykollektion testen, während ich noch gut wegkomme und mich an einem Likörchen festhalten darf. Am nächsten Morgen verlassen wir den schönen Ort nach einer ausgiebigen heissen Dusche und machen uns auf den Weg nach Idaho.


Idaho
Den obersten schmalen Zipfel von Idaho durchfahren wir in einem Tag und ausser dem wunderschönen Coeur d’Alène-Lake mit den blühenden Seerosen und unserem Schlafplatz am Fluss haben wir leider nicht viel gesehen. Vielleicht haben wir weiter südlich noch die Gelegenheit, den Staat besser zu entdecken.


Montana
Montana - da kommt mir gleich der Pferdefilm mit Robert Redford (schmacht..) und Brokeback Mountain in den Sinn. Genau so muss man sich den Staat vorstellen (landschaftlich natürlich, nicht die Cowboys…).
Das Land ist hügelig bis bergig, trocken und soooo weit! Seit langem brauchen wir mal wieder die Wolldecke nachts, wir gewinnen aber auch kontinuierlich an Höhe. Obwohl wir unser Limit von 250 km Tagesdistanz nicht überschreiten, haben wir schon eine beachtliche Distanz zurückgelegt und brauchen mal wieder etwas Pause. Ausserdem steht das Long Weekend zu Labour Day vor der Tür, wo es generell schwierig ist, einsame Campplätze zu finden. So richten wir uns in den Wäldern der Garnet Ghosttown für zwei Tage an einem schönen Platz mit Aussicht ein und verbringen die Zeit mit Lesen, Schreiben, Spazieren, Backen und dem Outdoor-Test unserer Neuerrungenschaft  „Christineli“.
 
Für alle die den letzten Reisebericht nicht mehr ganz präsent haben, bei „Christineli“ handelt es sich um den ultraleichten und outdoortauglichen, 2.7 Liter fassenden und kinderleicht zu bedienenden Dampfkochtopf von GSI.
Nach langem hin und her und den positiven Erfahrungsberichten diverser Familienmitglieder - unter anderem meiner Cousine Christine in Vancouver nach welcher das Ding benannt ist - entschliessen wir uns ein solches Wunderding zu kaufen.
Noch in Vancouver versuchen wir uns unter Aufsicht meiner Cousine an Maiskolben und Kartoffeln und sind überrascht über Kochzeit und Geschmack.

 
So testen wir zum Labour Day den Topf erstmals ohne Aufsicht - denn weder Dani noch ich haben je so ein Ding besessen und meine Erfahrung beschränkt sich lediglich auf eine mit Linsen tapezierte Küche in der Kochschule.
Andere hätten vielleicht klein angefangen, vielleicht mit Suppe oder Pouletteilen oder so. Aber nein, wir versuchen uns an 1.3 kg Rindsbraten mit Gemüse im Weinjus. Mut dazu trinken wir uns mit einer ordentlichen Dosis Rotwein aus der Bota-Box an (der Syrah ist echt zu empfehlen).
 
Und tatsächlich, kaum ist die Küche aufgeräumt und der Tisch gedeckt, meldet der Timer das Ende der Kochzeit und dem „Christineli“ entströmen wunderbare Düfte. Wir sind begeistert und heissen das neue Mitglied mit einem weiteren Glas Rotwein im Kreise unserer Familie willkommen!
 
Nach dem faulen Weekend hält uns aber nichts mehr zurück, wir wollen endlich in den Yellowstone NP und somit nach… WYOMING.


Wyoming
In Bozeman noch mal richtig eingekauft, Diesel und Wasser gebunkert und so rollen wir „full hooked up“ zum Nordeingang des Yellowstone NP - na ja rollen triffts wohl nicht ganz, denn seit einigen Tagen fällt Tico wieder etwas mit Ruckeln, Stottern und vermehrtem Rauch auf wie damals in den kanadischen Rockies. Ob es an der mittlerweile erreichen Höhe oder am Diesel liegt, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen und der extra gekaufte Cetane-Booster, der den tiefen Cetanwert im Diesel wettmachen soll führt dazu, dass Tico mittlerweilen schwarzen UND weissen Rauch im Wechsel erzeugt. Dieser Umstand drückt natürlich extremst auf die Stimmung und mindert die Freude auf die Vulkanwelt des Yellowstones. Wir beschliessen, das Problem möglichst zu ignorieren solange Tico läuft und ruckeln ein in den ältesten und beliebtesten Park der USA.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich es natürlich nicht unterlassen, Euch an meiner neusten Erkenntnis teilhaben zu lassen Man sagt doch, Hund und Herrchen ähneln sich mit der Zeit - bei Dani und Tico bemerke ich dasselbe Phänomen:

1. Beide sind extrem launisch bei falscher Fütterung
2. Beide mögen keine plötzlichen Aenderungen im Ablauf
3. Beide verbringen gerne viel Zeit miteinander (Tico gezwungenermassen)
4. Beide haben einige Jahre Offroaderfahrung auf dem Buckel
5. Beide blühen auf, je abenteuerlicher und schwieriger die Umstande werden
6. Beide stören sich in keinster Weise wenn sie schmutzig sind
Ok, vielleicht verbringe ich auch einfach nur zu viel Zeit in dieser Kiste ;-)
 
Yellowstone NP
Wir wussten natürlich, worauf wir uns hier im meistbesuchten NP der USA touristentechnisch einlassen und obwohl wir das Long Weekend abgewartet haben, verschlägt es uns die Sprache ob all der Besucher im Park. Auf den Parkplätzen der bekanntesten Sehenswürdigkeiten haben wir Mühe einen Parkplatz zu finden und auf dem Campingplatz (ja richtig gelesen, das geht hier einfach nicht anders) finden wir am Mittag mit Mühe noch einen einigermassen ebenen Platz! Später lesen wir, dass die Campingplätze in der Saison Wochen vorreserviert werden müssen und man auf einen Parkplatz oft eine halbe Stunde warten muss. Woah… das wär nix für uns…
Das wärs allerdings auch schon mit den negativen Aspekten des Parks, wir haben eine unglaublich schöne, beeindruckende, lehrreiche und umwerfende Zeit hier verbracht. Auf einer riesigen Fläche brodelt, dampft, zischt und bebt hier die Erde, und man wird sich bewusst, dass man hier auf einem Supervulkan steht, der, falls er ausbrechen sollte - und laut der Experten tut er das ca. alle 2'000 Jahre - die Welt mit einem Schlag in eine neue Eiszeit versetzen würde…
So sehen wir uns ehrfürchtig unzählige Vulkan, Geysire und Hot Pots an, die in allen Farben des Regenbogens gezeichnet sind. Wir baden im Boiling River wo wir versuchen, die angenehmste Position zwischen eiskalt rechts und brennend heiss links auszutarieren, warten mit Hunderten Anderen auf den Ausbruch des „Old Faithful“ und lassen uns vom Anblick des „Morning Glory“ Pools verzaubern.
Doch Yellowstone ist mehr als unter Dampf stehende Erde, Yellowstone ist auch ein gewaltiger Canyon, tosende Wasserfälle und mit klaren Bergbächen versetzte Steppe auf welcher Bisonherden grasen und Hirsche äsen. Doch bevor ich Euch noch weiter mit Superlativen langweile, lasse ich  ein paar Bilder sprechen - und Ihr könnt Euch sicher vorstellen wie schwierig es war, aus den Hunderten einige auszuwählen…

Erwähnenswert ist jedoch auch der immer etwas vernachlässigte Grand Teton NP, der sich südlich und übergangslos an den Yellowstone anschliesst. Er kann mit mächtigen Bergen aufwarten, die drei „Tetons“ dominieren mit ihren gezackten Spitzen die Landschaft und laden zum Wandern ein. Bei unserem Besuch ist allerdings ein grosser Teil gesperrt, da beachtliche Waldbrände an verschiedenen Stellen wüten. Beeindruckend ist die Infostelle, welche am Highway eingerichtet wurde um die Besucher über die Brände aufzuklären. Ein Rancher und ein Feuerwehrmann erklären anhand Karten und Anschauungsmaterial breitwillig die Bahn der Feuer und welcher Nutzen für die Natur dadurch entsteht. Wir sind ziemlich beeindruckt von diesem Dienst für die Bevölkerung, hören lange zu und lernen dadurch wieder einiges dazu.
Mit dem Ende des Grand Teton NP endet auch unsere Zeit in Wyoming und über einen erneuten kurzen Abstecher nach Idaho erreichen wir ein lang- und heiss ersehntes Ziel: Na? Schon erraten? Es ist natürlich…. UTAH!
Aber davon im nächsten Bericht!

Morgendliches Panorama der Grand Tetons vom Camplatz aus

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